CUI_BONO?
Eingeladener Wettbewerb, "Gedenkort für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen", Berlin, 2005
LIEBESPAVILLON
Inmitten des Denkortes befindet sich ein gläserner, sechseckiger Liebespavillon. Gemeinhin Symbol für verbotene Liebe und Treffpunkt heimlich Liebender, steht er nunmehr transparent und öffentlich an einen exponiertem Ort. Erinnerungen an den Verlust von Lebenspartnern, erlebte Demütigungen und Verletzungen der Intimsphäre, der Gang zum Schafott oder die Empfindung eines befreienden Schritts in die Öffentlichkeit - ein selbstbewusstes Bekenntnis zur eigenen Liebe und Sexualität. Mögliche Interpretationen bleiben absichtsvoll ambivalent und uneindeutig, wie jede Liebe, die bereits zu Beginn immer auch die Ahnung eines Verlustes in sich trägt.

Das Betreten des erhöhten Glasfußbodens mit Blick auf die darunter befindlichen Glas- und Spiegelscherben lässt Unsicherheit aufkommen und provoziert ein vorsichtiges und bedachtsames Betreten. Eine transparente Scheibe spaltet den Pavillon in zwei symmetrische, unverbundene Hälften. Unter dem Glasfußboden leuchtet ein rosa Dreieck, welches sich ausgehend vom Referenzobjekt "rosa Winkel" in jede beliebige andere Farbe einstellen lässt - stellvertretend für jedes potentielle Ausgrenzungskriterium. Mit Einbruch der Dämmerung erstrahlen zusätzlich auch der transluzente Fußboden sowie die Konturen des Pavillons in der jeweils gewählten Farbe und tauchen die gesamte Umgebung in farbiges Licht.

Der Liebespavillon ist Licht- und Schauspiel. Seine prismatische Kuppel wirkt wie ein kostbarer, geschliffener Kristall, in dessen Facetten das Licht tagsüber unentwegt moduliert, gebündelt, gebrochen und in seine Spektralfarben zerlegt wird. Das klare Kristallglas wird zum Projektor von zarter Farbigkeit. Kratzer, Verschmutzungen oder Gebrauchsspuren sorgen für weitere Lichteffekte. Seine Umgebung widerspiegelnd entfaltet der Pavillon eine eigenartige, ambivalente Präsenz. Eine Vielzahl von transparenten Licht- und Schatteneffekten, Lichtbrechungen bilden ein unentwirrbares Wechselspiel von Projektionen, Spiegelungen und Reflektionen, Blendungen und Überblendungen, das sich abhängig vom Stand der Sonne, vom Wetter, von der Tages- und Jahreszeit sowie insbesondere auch vom Blickwinkel und der Position des Betrachters verändert. Nachts wird der Pavillon zum Beleuchtungskörper und zur Artikulationsmöglichkeit einer individuellen Befindlichkeit, die in Form eines monochromen Farbfeldes in den Außenraum übersetzt wird. Jede Lichtfarbe jenseits der Referenzfarbe rosa bezeugt die Anwesenheit einer Person, deren Farbwahl die Beleuchtung der Umgebung bestimmt. Nach einer gewissen Zeit ohne Aktivität schaltet sich die Farbe automatisch auf die Referenzfarbe zurück.

WEGEFÜHRUNG
Ein Geflecht zahlreicher Trampelpfade, die den gemeinsamen Nenner vergangener, individueller, einander sich überlagernder Bewegungen durch unerschlossenes Terrain bezeugen, prägt derzeit das gesamte Areal. Zwei dieser Pfade, die in der Mitte des Pavillons zusammentreffen, zu einem Weg vereinigt zwischen zwei Bäumen hindurchführen und sich dahinter wieder verzweigen, werden im Sinne eines Zitats zum Bestandteil des Denkortes. Wie aufgebrochene Eisschollen ragen die dunklen, grob geschnittenen Granitscheiben aus der Erde und verweigern sich einem Betretenwerden. Eine gangbare Alternative hierzu bilden befestigte Wege, die in gewissem Abstand am Pavillon vorbeiführen. Bänke laden zur Beobachtung des Pavillons aus der Distanz ein. Der von einer gepflegten Rasenfläche umgebene Liebespavillon gleicht einer Insel zu der kein vorgegebener Weg führt. Jede Annäherung an den Pavillon ist eine bewusste Entscheidung und erfordert das Verlassen vorgegebener, befestigter Wege in eigener Verantwortung.

GLASSTELEN
In Straßennähe befinden sich zwei dreieckige Glasstelen mit eingraviertem Text. STELE 1 informiert über die unterschiedlichen Textfassungen des §175 von seiner Einführung bis zu seiner Abschaffung. Die Modifikationen des Paragraphen bezeugen, dass Gesetze nichts Festgefügtes, von außen Gegebenes, sondern temporäre Übereinkünfte sind, die den gemeinsamen gesellschaftlichen Nenner und die jeweilige Zeit widerspiegeln. In diesem Sinne trägt jeder Einzelne für deren Gestaltung Mitverantwortung. STELE 2 enthält den Entwurf für die Neuformulierung des derzeit geltenden Grundgesetzes. Dieser sieht die Einführung des Artikel ZERO [Einzig- und Verschiedenartigkeit, Anderssein] und darauf basierend notwendige Veränderungen der nachfolgenden Artikel vor. Beispielhaft gezeigt werden Auswirkungen auf Artikel 1-3, welche u.a. die Abschaffung des Gleichheitsparagraphen fordern. Auch die Menschenwürde ist zumindest de facto antastbar, wie wir täglich erleben müssen und ist gerade aus diesem Grund zu schützen. Der Gesetzentwurf weiß um die Gratwanderung zwischen Konkretem und Abstraktem, zwischen Interessen Einzelner und der Gemeinschaft als Ganzes. Dennoch sieht er die Notwendigkeit eines angemessenen Zweifels, einer kontinuierlichen Infragestellung und der damit verbundenen Schärfung eines Problembewusstseins. Nach einer Phase öffentlicher Diskussionen soll er als Antrag auf Änderung des Grundgesetzes eingereicht werden. Beabsichtigt ist ein Diskussionsprozess, der sich losgelöst vom Denkort, einmal angestoßen, unabhängig von Ländergrenzen selbständig weiter entfalten kann. CUI_BONO? - ANSICHTSSACHE oder eine Frage, deren Beantwortung jedem selbst überlassen ist?

CUI_BONO? soll zum Ort der Reflektion werden, der zum Verweilen einlädt, zum Nachdenken inspiriert und der sich eindeutigen ideologischen Botschaften verweigert. Mit der Strategie, das Schöne zu zeigen und das Bedürfnis zu erwecken, Kostbares zu beschützen anstatt es zu zerstören ist der Wunsch verbunden, jedes einzelne Individuum in seiner Einzigartigkeit und seinem Anderssein respektieren und achten zu lernen, dessen Verletzlichkeit, Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit vor Augen zu führen, es in seiner Schönheit zu bewahren und zu beschützen. CUI_BONO? lässt sich aus angemessener Distanz betrachten oder in unmittelbarer Auseinandersetzung erfahren. Die Dramaturgie ergibt sich aus dem individuellen Zugang. Peripathetische Wahrnehmung bedeutet das kontinuierliche Relativieren von Standpunkten und den damit verbundenen veränderten Blickwinkeln, Haltungen und Einstellungen. Denken lässt sich nicht erzwingen, sondern es erfolgt und breitet sich aus, wenn es genügend Raum hat und man es lässt. CUI_BONO? ist ein Denkort, der ein assoziatives Gedankenfeld aufspannt, innerhalb dessen die eigene Positionierung nicht nur möglich sondern auch erwünscht ist. Dies bedeutet auch die Übernahme von Verantwortung, die jeder Einzelne für sich und andere zu übernehmen hat. CUI_BONO? Wer im Glashaus sitzt ...

Optional: korrespondierende interaktive WEBSITE
Optional wird CUI_BONO? von einer interaktiven Website begleitet, die eine Schnittstelle zwischen Gedenkort und Internet herstellt und den Diskussionsprozess auch jenseits der physische Präsenz befördert. Die Informationen über die im Pavillon ausgewählten Farben werden an die Website überrmittelt, wobei jede Farbwahl vor Ort auf der Website ein Referenzobjekt in Form eines gleichfarbigen winzigen Dreiecks generiert. Die so erzeugten Dreiecke bilden einen immer weiter anwachsenden virtuellen „Teppich“ aus Dreiecken, welcher auf das Geschehen vor Ort referenziert. Auf diese Weise hinterlässt ein physisch-virtuelle Feedbacksystem Spuren ...

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